Das Projekt SPORTIF ist seit 2010 in Bottrop etabliert und eine gemeinschaftliche Initiative der Bezirksregierung Münster, des Sport- und Bäderbetriebes und des Bottroper Sportbundes. Damit verteilen sich die Kompetenzen auf die drei Projektsäulen Schule, Stadt und Sport. Schirmherr des Projektes ist seit der ersten Stunde Oberbürgermeister Bernd Tischler.
Das gemeinsame Ziel der Initiative ist eine analysegestützte individuelle Förderung, die darauf ausgelegt ist, Defizite zu kompensieren (Kompensationssport), Talente zu fördern (Talentsichtung/Talentförderung) und ganz allgemein Kinder für Bewegung, Spiel und Sport zu begeistern (Breitensportförderung).
Kernelement von SPORTIF ist der Motorische Test für NRW (MT1). Dieser wird jährlich in Zusammenarbeit mit der Universität Duisburg/Essen flächendeckend an allen Bottroper Grundschulen im zweiten Schuljahr durchgeführt und zur Messung von Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Koordination herangezogen. Darüber hinaus werden weitere Daten (z. B. Schwimmfähigkeit, Vereinszugehörigkeit etc.) erhoben, die als Grundlage für die Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen verwendet werden. Die Erkenntnisgewinne aus der Testung sowie dem Projekt sind außerdem ein fester Bestandteil der kommunalen Sportentwicklungsplanung.
Leitgedanken
Bewegung fördert die Entwicklung von Kindern
Die Lebens- und Bewegungswelt von Kindern und Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Aufgrund des Verkehrs und der Bebauung gibt es immer weniger Möglichkeiten zu spielen und sich sicher zu bewegen. Dazu kommen veränderte Ernährungsgewohnheiten (Fastfood und Co.) sowie ein von medienbestimmtes Freizeitverhalten. All dies hat Folgen für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Können Kinder ihren Bewegungsdrang nicht richtig ausleben, wirkt sich das zunächst negativ auf ihre körperliche Entwicklung aus. Muskeln bilden sich unzureichend aus und können Wirbelsäule und Fußgewölbe nicht mehr ausreichend stützen. Dadurch werden Bewegungsabläufe erschwert, die tagtäglich gebraucht werden wie Laufen, Springen oder einfach eine aufrechte Körperhaltung. Auch das Herz-Kreislauf- und Atmungssystem bleiben in der Entwicklung zurück und arbeiten unökonomisch. Bei Belastung sind diese Funktionen störanfälliger und erholen sich nur langsam. Sinne, Nerven und Muskeln, die nicht durch abwechslungsreiche Bewegungen trainiert werden, verlieren ihre optimale Funktion und arbeiten unkoordiniert zusammen. Bei dauerhaftem Bewegungsmangel macht sich dies durch Muskel- und Haltungsschwächen, geringere Ausdauer und eine veränderte Motorik bemerkbar.
Schon bei der Einschulung der Kinder werden vielfach Übergewicht, Konzentrationsschwäche, Bewegungsunlust und Ungeschicklichkeit festgestellt. Deshalb müssen von klein auf Bewegungsangebote geschaffen werden, die gerade auch leistungsschwache Kinder zur Bewegung motivieren und die Lust am Spielen und Toben wecken.
Bewegung – unverzichtbarer Bestandteil der Erziehung und Bildung
Bewegung, Spiel und Sport gehören zu den unverzichtbaren Bestandteilen von Erziehung und Bildung. Ihr Beitrag hinsichtlich der Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule kann aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven begründet werden. Gesundheit ist dabei ein wichtiges, aber nicht das einzige Argument:
- Aus anthropologischer Sicht ist der Mensch ein auf Bewegung und Erfahrung angelegtes Wesen, das des Einsatzes aller Sinne bedarf, um sich ein Bild über die Welt und sich selbst in ihr zu machen.
- Aus entwicklungspsychologischer Sicht benötigt das Kind vielfältige Gelegenheiten zum Explorieren und Erkunden seiner dinglichen und räumlichen Umwelt über Spiel und Bewegung.
- Aus lernpsychologischer und neurophysiologischer Sicht bilden Wahrnehmung und Bewegung die Grundlage kindlichen Lernens.
- Aus gesundheitspädagogischer Sicht ist es unerlässlich, der Vielzahl der Bewegungsmangelerkrankungen, die viele Kinder bereits bei der Einschulung aufweisen, entgegenzuwirken.
- Aus sozialökologischer Sicht sind Bewegungsangebote notwendig, um die durch den gesellschaftlichen Wandel bedingten Defizite der heutigen Lebenssituation auszugleichen.
- Aus der Sicht der Unfallprävention und Sicherheitserziehung ist es unabdingbar, die motorischen Fähigkeiten der Kinder zu trainieren, um Unfällen vorzubeugen.
Bewegung – Wesensmerkmal des Menschen
Der Mensch ist ein auf Bewegung angelegtes Wesen. Er benötigt seinen Körper und seine Bewegung, um sich mit der Umwelt auseinander zu setzen, um sich ein Bild von ihr zu machen und auf sie einzuwirken. Der Körper ist dabei Mittler der Erfahrungen, er ist aber zugleich auch Gegenstand, über den Erfahrungen gemacht werden.
Dies trifft auch noch auf Erwachsene zu, ist aber insbesondere für die kindliche Entwicklung von Bedeutung: Das Kind nimmt die Welt weniger mit dem „Kopf“, also mit seinen geistigen Fähigkeiten, über das Denken und Vorstellen auf, es nimmt sie vor allem über seine Sinne, seine Tätigkeit, mit seinem Körper wahr. Durch Bewegung tritt das Kind in einen Dialog mit seiner Umwelt ein, Bewegung verbindet seine Innenwelt mit seiner Außenwelt. Die Welt erschließt sich dem Kind über Bewegung, Schritt für Schritt ergreift es von ihr Besitz. Mit Hilfe von körperlichen
Erfahrungen und Sinneserfahrungen bildet es Begriffe; im Handeln lernt es Ursachen und Wirkungszusammenhänge kennen und begreifen. So liefern die kinästhetischen Sinne, der Gleichgewichtssinn, der Tastsinn, das Sehen und das Hören dem Kind viele Eindrücke über seine Umwelt und über sich selbst in Zusammenhang mit ihr (Grupe 1992).
Der Körper ist die Nahtstelle zwischen dem Kind und der Welt. Es wirkt auf die Welt ein und wird gleichzeitig von ihr beeinflusst. Über Bewegung machen Kinder Erfahrungen mit der materialen und sozialen Umwelt und von sich selbst im Umgang mit ihr. Sie lernen, sich einzuschätzen, und gewinnen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Sie machen Erfahrungen der eigenen Selbstwirksamkeit und erwerben damit die Voraussetzungen für den Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes (Zimmer 2004a).
Aus anthropologischer Sicht zählt Bewegung zu den Grundbedürfnissen von Kindern, deren Erfüllung für ihre Entwicklung unabdingbar ist und daher auch von jeder Erziehungsinstitution berücksichtigt werden muss.
Bewegung – der Motor der Entwicklung und des Lernens
Lernen geht von der sinnlichen Erfahrung aus: Die Sinne sind die Antennen, mit Hilfe derer Informationen aufgenommen und verarbeitet werden.
Die zunehmende Differenziertheit des Gehirns beruht auf den Wachstumsreizen, die von den Sinnesorganen ausgehen. In der frühen Kindheit werden durch Sinnestätigkeit und körperliche Aktivität Reize geschaffen, die die Verknüpfungen der Nervenzellen – die Bildung der Synapsen – unterstützen. Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen werden komplexer, je mehr Reize durch die Sinnesorgane zum Gehirn gelangen. Die Plastizität des Gehirns ist groß, es muss jedoch in der Kindheit durch möglichst vielseitige Sinnestätigkeiten angeregt werden.
Über Bewegung erwerben sie die Voraussetzungen für die Entwicklung der Sprache, für das Lernen des Schreibens, Lesens und Rechnens. So können z. B. über den Körper und die Sinne grundlegende Raumerfahrungen gemacht werden, diese bilden die Basis für die Entwicklung des Orientierungsvermögens, für die Begriffsbildung und den Umgang mit Zahlen (vgl. Zimmer 2004b:39ff).
Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit gelten als wesentliche Grundlage für erfolgreiches Lernen. Aber: Konzentration ist nur möglich, wenn auch der Körper mitmacht. Wenn der Körper negative Signale aussendet, wenn das Kind also unruhig ist und herumzappelt, ist auch der Geist nicht zum Wachsein bereit. Dann kommt auch im Gehirn keine Lust auf, bei der Sache zu bleiben.
Eine Erklärung für die Steigerung der Aufmerksamkeit durch Bewegung kann in der Förderung der Durchblutung des Gehirns liegen. Bewegung regt allgemein den Stoffwechsel an und nimmt außerdem Einfluss auf die Aktivität der Neurotransmitter.
Durch Bewegung werden hormonelle Prozesse beeinflusst, die zum Abbau von Stress und zu einer Steigerung des psychischen und geistigen Wohlbefindens führen (vgl. Hollmann; Löllgen 2002).
Die Bewegungsaktivitäten stören aufmerksames und konzentriertes Arbeiten also nicht, sie schaffen vielmehr die Bedingungen dafür, dass Aufmerksamkeit und Konzentration wiederhergestellt werden kann.
Bewegung fördert den Informationsfluss im Gehirn, die Verknüpfung von Nervenzellen wird unterstützt, das Gehirn wird besser mit Sauerstoff versorgt, Kinder können sich besser konzentrieren, außerdem macht das Lernen einfach mehr Spaß, wenn man sich aktiv und mit Energie mit einer Sache oder einem Problem beschäftigen kann.
Die Botschaft müsste heißen: Den Körper zum Verbündeten zu gewinnen, Bewegungsdrang nicht zu unterdrücken, sondern ihn konstruktiv im Sinne einer Entwicklungsförderung zu nutzen – so macht Lernen Spaß und hält Geist und Körper fit.
Bewegung – die Voraussetzung für Gesundheit und Wohlbefinden
Die körperliche Entwicklung ist insbesondere bei Heranwachsenden auch von dem Maß ihrer körperlich-motorischen Beanspruchung abhängig. Bewegungsmangel gilt als eine der folgenreichsten Zivilisationskrankheiten in allen Altersstufen, bei Kindern und Jugendlichen birgt er jedoch besondere Gefahren, da der heranwachsende Organismus besonders anfällig gegenüber Störfaktoren ist. Ein Mangel an Bewegungsmöglichkeiten in der Kindheit erhöht das Risiko vieler Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des aktiven und passiven Bewegungsapparates, oft zeigen sich die Folgen erst im späteren Lebensalter.
Es liegt auf der Hand, dass die Schule diese Risikofaktoren nicht noch verstärken darf, sondern zu ihrer Minderung beitragen müsste. Sitzen – die ungesündeste aller Dauerbelastungen – darf nicht weiter die vorrangige Körperhaltung in der Schule bleiben.
Der Aspekt von Gesundheit und Wohlbefinden umfasst jedoch nicht nur die Reduzierung von Risikofaktoren, die durch Bewegungsmangel bedingt sind. Es gilt auch, die positiven Wirkungen im Sinne der Bildung von Ressourcen zu nutzen, die durch Bewegung Spiel und Sport unterstützt werden können. Dazu gehören die Entwicklung von Selbstwertgefühl und der Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes.
Durch Bewegung, Spiel und Sport können bei Kindern und Jugendlichen also unterschiedliche Gesundheitsressourcen unterstützt werden:
- Die physischen Gesundheitsressourcen beziehen sich z. B. auf die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems, die Kräftigung der Muskulatur, die Stärkung des Immunsystems, die Verbesserung des Energiestoffwechsels, die Stärkung des Haltungs- und Bewegungsapparates.
- Die psycho-sozialen Gesundheitsressourcen umfassen u. a. Vermittlung von Selbstvertrauen auch bei schwierigen Aufgabenstellungen, den Umgang mit Erfolg und Misserfolg, das Gefühl des Angenommenseins in der Gruppe, die soziale Unterstützung.
Sie können dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche mit Belastungen besser umgehen lernen, dass sie Widerstandsfähigkeit entwickeln und mögliche Konflikte besser bewältigen können.
Förderung grundlegender Kompetenzen durch Bewegung, Spiel und Sport
Diese Argumente allein müssten ausreichen, um die Unverzichtbarkeit ausreichender Gelegenheiten für Bewegung, Spiel und Sport in der Schule zu begründen.
Und trotzdem sieht die Realität in den meisten Schulen anders aus:
„Stillsitzen ist die Voraussetzung für das Lernen, Konzentration hängt von körperlicher Unbeweglichkeit ab, der Geist kann sich erst dann voll entfalten, wenn der Körper stillgelegt ist“ – wie vielen solcher Vorurteilen begegnen Kinder, wenn sie in die Schule kommen?
Dabei können durch Bewegung, Spiel und Sport in der Schule grundlegende Kompetenzen erworben werden, die zur Bewältigung der Anforderungen in gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen befähigen.
Die im Folgenden genannten Basiskompetenzen können zwar nicht nur hier, aber hier ganz besonders gut vermittelt werden:
- Regeln des sozialen Zusammenlebens anerkennen und einüben
- Verantwortung für sich und andere übernehmen
- Die Entwicklung von Selbstwertgefühl unterstützen, zum Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes und einer realistischen Selbsteinschätzung beitragen
- Den eigenen Körper wahrnehmen und achten, zur Ausbildung von Bewegungsgewohnheiten und Einstellungen und damit auch zu einer gesunden Lebensführung anregen
- Eine Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit erreichen, die Sinne schulen und zu einer ästhetischen Bildung beitragen; auf diesem Wege neue Perspektiven der Selbst- und Weltwahrnehmung entdecken
- Strategien der Problemlösung und Konfliktbearbeitung kennen lernen und in sozialen Situationen anwenden
- Sich in Frustrationstoleranz üben, Durchhaltevermögen steigern, mit Misserfolgen umgehen lernen
- Toleranz gegenüber fremden Kulturen, anderen Wertmaßstäben und heterogener Leistungsfähigkeit entwickeln
Eine gute und gesunde Schule darf nicht auf die Chancen verzichten, die sich hinsichtlich der Bildung dieser allgemeinen, z. T. aber für das Überleben in der Gesellschaft notwendigen Kompetenzen durch die bewusste Einbeziehung von Bewegung, Spiel und Sport im Lern- und Lebensraum Schule ergeben.
Sport und Inklusion – Sport ist ein Inklusionsmotor
Theoretisch ist klar: Organisiertes Sporttreiben begünstigt Inklusion. Im Sportverein können Menschen mit Behinderung Vertrauen entwickeln, erfahren Selbstwirksamkeit, bekommen aber auch Unterstützung, wo sie verlangt wird. Sie haben Teil an einer Gemeinschaft, die Vielfalt lebt.
Und praktisch? Hunderte Sportvereine in NRW arbeiten „inklusiv“ – ob sie es so nennen oder nicht. Viele andere halten sich zurück, suchen vielleicht Antworten auf berechtigte Fragen. Etwa: Wie fügen sich lernbeeinträchtigte Jugendliche in eine Trainingsgruppe ein? Wie werde ich motorisch eingeschränkten Kindern gerecht – und zugleich den leistungsorientierten?
Tatsächlich hat das vom LSB NRW und dem Behinderten- und Rehabilitationssportverband NRW initiierte Modellprojekt „Sport und Inklusion im Verein“ gezeigt, dass es spezieller Ansätze und Kompetenzen bedarf, um den durchaus verschiedenen Bedürfnissen von Sportlern mit und ohne Behinderung zu entsprechen.
Sport und Integration
Integration braucht Offenheit. Die der (Neu-)Zugewanderten, aber auch die der Aufnahmegesellschaft, ihrer Menschen, Organisationen und Strukturen. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen, damit Unterschiede nicht zu Grenzen verhärten. Deshalb ist Willkommenskultur so wichtig, auch im Sport.
Sehr viele Sportvereine in NRW haben in den letzten Jahren die soziale Integration geflüchteter Menschen und anderer Neuankömmlinge erleichtert. Sie bieten ihnen Bewegung, Spiel und damit Abwechslung in einem anfangs oft schwierigen Alltag. Sie bieten aber auch eine Gemeinschaft, soziale Kontakte – und bedeuten somit emotionalen Halt – sowie praktische Hilfe, etwa bei Behördengängen oder beim Deutsch lernen.
Solch ein Engagement, solch eine aktives Verständnis von Willkommenskultur nützt am Ende allen.
Hintergründe und Praxistipps zur Arbeit mit Geflüchteten gibt´s u. a. in der Broschüre „Flüchtlinge im Sportverein“ und dem Wegweiser „Flüchtlinge im Sportverein“. Außerdem finden Sie weitere Informationen unter „Service und Hintergrund“.